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Bild: Nach einer Radierung
von ©Rudolf Paul Hirschenhauser
1927
 


Anton Wildgans


geb. 17. April 1881 in Wien
gest. 3. Mai 1932 in Mödling

Er war ein Lyriker und Dramatiker.


1908 Dr. jur., 1909-11 als Untersuchungsrichter tätig, dann freier Schriftsteller.
Zweimal – und zwar in den Jahren 1921/1922 und 1930/1931 – war er Direktor des
Wiener Burgtheaters, der vor allem für seine sozialkritischen Werke bekannt war.


Anton Wildgans war ein äußerst produktiver Dichter und verfasste eine große Menge
von Gedichten. An der Auswahl die ich getroffen habe, mögen sich die Liebhaber
schöner Gedichte erfreuen.




Sankt Othmar


An meinem Garten ragt ein Gotteshaus uralt
Mit grauen Mauern auf in gotischer Gestalt.

Der nahe Bruch gab Stein, das Holz der nahe Berg,
So strebt der Pfeiler auf und Firstes Balkenwerk.

Die diesen Bau erdacht, ihr Schicksal ist nicht kund,
Die toten Meister nennt kaum der Legende Mund.

Um so lebendiger verblieben ist der Stein,
Dem Efeu gibt er Halt, die Güsse schlürft er ein.

Die Schwalbe unterm Sims hat ihren Nestbesitz,
Der Tauber gurrt vom Dach, das Echslein haust im Ritz,

Und eh' noch Frühling ist in jedem jungen Jahr,
Zu Liebesflug und Brut einzieht ein Falkenpaar.

Dann treiben Gras und Strauch aus Moos- und Mauerwerk,
Und was der Mensch getürmt, ist wiederum ein Berg. —

Das nenn' ich eine Kunst, die ihres Schöpfers Spur
So stolz vergessen macht und heimkehrt in Natur!

Wir ändern bringen es mit Müh' und Not zu End',
Daß man uns selbst noch weiß und unser Werk nicht kennt.

Das kommt vielleicht daher, daß wir zu sehr vertraut
Auf Menschenkunst und -gunst und nicht für Gott gebaut.



Seine Zeichnung von 1923

Abschied vom blauen Rauch

Heut nachts erwacht’ ich jäh, das Herz stand still!
Dann aber hub ein Hämmern, ein Pochen,
So ungefüg, als würde eingebrochen
Im Purpurschrein des Lebens. – Wie Gott will.

Es meint’ der Arzt zu mir: Du rauchst zuviel,
Solch sinnlos Fröhnen bleibt nicht ungerochen! –
Und hat mir lange weise zugesprochen
Von meines Daseins Pflicht und ernstem Ziel.

Du blauer Rauch, berauschendes Umfließen,
Aus dem mir Ahnung und Gedanke quillt,
So muß ich deiner spärlicher genießen
Und ganz entsagen, wenn es einmal gilt. –

Wärst nicht das erste duftende Gebild,
Von dem ich habe Abschied nehmen müssen.


Die Parabel vom Nein
(Allen Leugnern zum Spott)

Der letzte Brunnen sang ein Lied –
Das Lied, das war darnach!
Schalt auf das Wasser, das ihn mied
Und aus den andern brach.

Das lahme Bein, das locker hing,
Dachte von jedem Bein gering,
Das spielend trug und sprang und ging.

War auch ein Herz aus Kieselstein –
Das Herz, das war darnach!
Schalt alles Leuchtens Widerschein,
Der aus den andern brach.

Und leerer Brunnen, lahmes Bein
Und hartes Herz aus Kieselstein,
Die plärrten alle dreie: Nein!


Freunde

Wir waren viele, da wir gingen,
Und ich, voran, sah mich nicht um;
Ich hörte doch so nahe klingen
Der Stimmen freundliches Gesumm.

Trat mancher auch vom Weg zur Seite,
Verhallend meinem Lauscher-Ohr,
War immer noch ein reich Geleite
Und guter Herzen voller Chor.

Allmählich aber ward es leiser,
Da wir durchmaßen Jahr um Jahr,
Und an des ersten Kreuzwegs Weiser
Hielt unser eine kleine Schar.

Von fern die einen und die andern
Gesellten sich zu unserm Zug,
War immer noch ein reiches Wandern
Und treuen Einklangs Lust genug.

Nur daß ich jetzt sie öfter zählte,
Die teuern Stimmen ringsumher,
Ob keine, die mir lieb war, fehlte,
Denn manche, schien mir's, klang nicht mehr.

Auch dieses liegt schon längst im Weiten,
Und stiller wird's tagaus, tagein;
Ist immer noch ein reiches Schreiten,
Doch wer am Ende meiner Zeiten,
Wer wird bei mir der Letzte sein?


Botschaft

Siehst du die tausend Sterne funkeln
Am weiten Himmelszelt der Nacht?
Wie in den Räumen dort, den dunkeln,
Ein tausendfältig Leben wacht?

O war' mir jene Macht gegeben,
Die Sterne hebt und Sonnen senkt!
Könnt' ich den Sternen Bahnen geben,
Ich hätte anders sie gelenkt.

Ich würde sie in Reihen zwingen,
Und Riesenzeichen formte ich,
Da sollt' es in dein Auge dringen
In Flammenschrift: »Ich liebe dich!«

Hörst du des wilden Donners Rollen?
Die Luft erzittert und erbebt,
Die Erde schwankt bei seinem Grollen,
Bis endlich er uns fern entschwebe.

O könnt' Gewitter ich empören,
Gewitter wild und fürchterlich —
Dann solltest du die Worte hören
Im Donnerton: »Ich liebe dich!«

Die Worte, die so inhaltsreichen,
Die wollte würdig melden ich.
Aus Donnerton und Flammenzeichen
Vernähmest du: »Ich liebe dich!«






 



Das Lächeln

Eine Frühlingsballade

Wie doch die Menschen sind: sie sorgen,
Was morgen werden wird und übermorgen –
Und ihre Seelen bleiben blind und arm.
An Gärten wandern sie vorbei, an Gittern,
Die von dem Drängen junger Sträucher zittern,
Und ihre Seelen füllt der ewig gleiche Harm.

Daß über Nacht ein Wunder neu geboren,
Daß aus der alten Häuser tiefen Toren
Nun wieder Kinderlaut und Kühle weht –
Und daß sich Wölkchen bilden in den Lüften
Von Zigaretten- und Orangendüften
Oder Parfum, wenn eine schöne Frau vorübergeht –

Sie fühlen dieses nicht und nicht das Neigen
Der Abende, wenn sich in langen Reigen
Müd-armes Volk die Straßen heimwärts drängt,
Sie sehen nicht, wie diese bleichen Wangen
Der jungen Mädchen vor dem Frühling bangen,
Der so viel Sehnsucht und Gefahr verhängt ...

In meinem Leben weiß ich einen Kranken,
Gelähmt an Gliedern, Willen und Gedanken,
Nur seine Seele war dem Wunder heil –
Der konnte lächeln, wenn der erste Schimmer
Der Frühlingssonne in sein traurig Zimmer
Sich leise schob, ein goldner, zarter Keil.

Der konnte lächeln über jede Blüte,
Daß dieses Lächelns wundervolle Güte
Dem toten Auge flüchtig Leben gab:
Der konnte weinen über Kinderlieder
Und tiefer atmen, wenn der Duft vom Flieder
Ihn grüßen kam in seiner Kissen Grab.

Und dieses Lächeln, diese Tränen waren
So überreich an jenem Wunderbaren,
Des alle darben, die so dumpf-gesund.
Und ich hielt dieses Mannes Hand im Sterben,
Und ward zu seines Lächelns Erben,
Das wie ein Blühen lag um seinen blassen Mund.

Drum faß ich diese Menschen nicht, die sorgen,
Was morgen werden wird und übermorgen,
Und ihre Seelen bleiben blind und arm.
An Gärten wandern sie vorbei, an Gittern,
Die von dem Drängen junger Sträucher zittern,
Und ihre Seelen füllt der ewig gleiche Harm.


Auch ein Trost

Ich hatte ein süße Braut,
Hold wie ein Frühlingsflur –
Sie war mir innig angetraut
Durch heißen Liebesschwur.
Mir gab sie eine gute Fee –
Juche, juche!

Vom Turme hoch die Glocke sang,
Hell flimmert's vom Altar,
Der Priester sprach, die Orgel klang –
Mein Liebchen trug im Haar
Der Myrte keuschen Blütenschnee –
Juche, juche!

Doch war nicht ich der Bräutigam.
Mich hatt' sie zwar geliebt,
Zum Gatten sie den andren nahm.
Da stand ich nun betrübt,
Mir ward ums Herz so wund und weh –
Ach was! – Juche!


Letzte Erkenntnis

Willst du gleich die Früchte greifen?
Hast doch eben erst gesät!
Laß sie werden, laß sie reifen:
Früh ist Arbeit, Ernte spät.

Läßt kein Wachstum sich beschleunen,
Ihr Gesetz hat jede Saat,
Rüste Werkzeug, baue Scheunen
Für die Fechsung, für die Mahd!

Heimsen andre Pflüger eher,
Voll Geheimnis ist die Welt;
Sei kein Neider, sei kein Späher
Nach des Nachbarn Ackerfeld!

Glaubst du vor dem Schnitt zu sterben,
Sei nicht bange um die Frucht!
Kein Ertrag bleibt ohne Erben,
Keine Tat bleibt ungebucht.

Wer im Werk den Lohn gefunden,
Ist vor Leid und Neid gefeit,
Denn er hat sich überwunden
Und kann warten und hat Zeit.


Akkord

In meiner Kindheit leisem Wiegentraum
Vor einem Fenster, licht und flügelbreit,
Steht grün und golden ein Kastanienbaum.

Voll Lichtertanz und Huschen war der Raum.
Und oben schien der Himmel klar und weit
Und krönte jedes Ding mit Silbersaum –
Nimm deine Geige, Frau Vergangenheit...

Da sprachen sie zu mir mit holdem Laut,
Und lieber Blick hat hell auf mir geruht,
Und selbst das Fremde kam und ward vertraut.

Und wenn ich Schiff und Festung mir gebaut,
Erhitzt vom ersten Schöpferübermut,
Hat mir die Mutter heimlich zugeschaut,
Und sicher fand sie, was ich baute, gut.

Seit damals sah ich nimmer diesen Raum.
Dort wohnt jetzt andrer Menschen Glück und Leid,
Und auch das Haus, die Straße weiß ich kaum.

Nur aus der Kindheit leisem Wiegentraum
Vor einem Fenster, licht und flügelbreit,
Grüßt grün und golden ein Kastanienbaum –
Nimm deine Geige, Frau Vergangenheit...


Der alte Brunnen

Es steht ein alter Brunnen
In einer großen Stadt,
Die Millionen Menschen
Schon sterben sehen hat.

Der gibt so helles Wasser
Wie je ein Alpenbach,
Der über Kiesel tändelt,
Es fragt kein Mensch danach.

Vietausend Menschen gehen
Alltags an ihm vorbei,
Doch keiner hört des Brunnens
Einsame Melodei.

Erst wenn des Tages Rauschen
Verlärmt, vertost, verklang,
Erhebt er seinen leisen,
Wehmütigen Gesang.

So ist von keuscher Liebe
So manche Seele wach
Und möchte alles geben –
Es fragt kein Mensch danach.